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Basajaun - 54h Adrenalin

"Und wenn es sein muss, dann renne ich eben heute meinen ersten Marathon, aber ich komme ins Ziel!" Dieser Gedanke schoss mir nach über 48h und 740km Rennen durch den Kopf, als mein Hinterrad immer schneller an Luft verlor und ich nichts mehr zu flicken hatte. Es war einer von vielen Momenten, in denen ich wohl hätte aufgeben können - aber das stand nie zur Debatte.
Ich nehme euch heute mit in ein Rennen, das aus zwei völlig unterschiedlichen Abschnitten bestand. Einer, in dem alles genau nach Plan lief und ich souverän jeden weiteren Schritt auf dem Rad in Ruhe überlegen konnte und der andere, in dem ich mir zu keiner Zeit sicher war, ob und wie lange es noch gutgehen würde und Wille und Improvisationskunst gefragt waren.

Wie geplant

Das 300 Mann starke Starterfeld fand sich zum Anbruch des Tages am Plaza del Espana zusammen. Eine respektvolle und angespannte Stimmung war auf diesem, von historischen Gebäuden umgebenen Platz, zu spüren und der leichte Nieselregen trug das seine dazu bei, die Dramaturgie der Startatmosphäre zu steigern.

Wir fuhren 7km neutralisiert hinaus aus der Stadt, bis die ersten Gravelabschnitte erreicht wurden. Nach 4km hörte ich es rufen: "Hey Ben, how are you?" Es war der ehemalige Fahrer des Teams Sky und TV Experte Juan Antonio Flecha, den ich bei Badlands getroffen hatte.                                                     Das Tempo war flott, doch ich beschloss, aufgrund des Gegenwinds zunächst länger als geplant, in der Führungsgruppe zu bleiben. Bei km 60 ließ ich letztlich reißen und entschied, von nun an mein eigenes Rennen und Tempo zu fahren. Damit fand ich mich auf Position 15 wieder. Dieser Moment ist unfassbar hart, denn es fühlt sich so an, als würden alle 14 vor einem das Tempo mit dem Finger in der Nase mitfahren. Dass das aber natürlich nicht so war, bemerkte ich bereits nach 30 Minuten und begann die ersten beiden vor mir Fahrenden zu überholen. Eine weitere Stunde später war ich dann auch wieder bei Antonio Flecha angekommen, der mit breitem Grinsen meinte: "... and Ben took the right decision and rode just in his own pace." 4 Stunden nachdem ich hatte reißen lassen, befand ich mich schon wieder auf Platz 3.
Das eigene Tempo und der größere Wasservorrat, den ich im Vergleich zu allen anderen Teilnehmern transportierte, hatten mir zwei Stopps erspart und vieles an verlorenem Boden wieder wettmachen lassen.
Ich fuhr nun an Position 3, zusammen mit dem zu diesem Zeitpunkt 2., Juano.  Als dieser gegen Mitternacht meinte, dass er nun 2h schlafen würde, war ich hinter de Marchi an zweiter Stelle. Ich tauchte in die Dunkelheit ein und war mutterseelenalleine in einer beeindruckenden Wüstenlandschaft. Meine Lupine-lampe strahlte Sandformationen an, die selbst in der Nacht atemberaubend waren und ließen deren wahres Ausmaß bei Tag erahnen. Ein wenig getrieben wurde ich auf den Sandwegen und Dünen, da die Weite der Wüste einen enormen Blick auf die Lichter meiner Verfolger ermöglichte, auch wenn sich diese 8km hinter mir befanden.
Um 5.30Uhr ließ ich die Nacht und die Sandlandschaft hinter mir und kam genialerweise im ersten Ort direkt an einem Bäcker vorbei, an dem es neben einer Schicht Ceramicspeed für die Kette, die Hälfte des Sortiments für meinen Magen bzw. mein Wohlbefinden gab.
Gestärkt und bei bester Stimmung nahm ich den ersten der 6 bevorstehenden Berge in Angriff.

Kleiner Riss mit großen Folgen

Bei wunderbarem Sonnenaufgang und herrlich frischer Lust war der erste Anstieg im Nu bezwungen und ich stürzte mich voller Enthusiasmus in die rasante Abfahrt. Den Lenker locker in der Hand haltend und unterstützt durch meinen Vecnum-Vorbau tänzelte ich über grobes Gestein, bis ich eine kleine Felsspalte zu spät sah, mit beiden Reifen nach oben sprang und dummerweise bei der Landung mit dem Hinterrad genau auf einen spitzen Stein traf. Ein solches Manöver hatte zuvor 20x problemlos geklappt, doch nun war ich 5cm zu kurz gesprungen und die Dichtmilch schoss aus dem entstandenen Riss am hinteren Mantel. Trotz Verlangsamung meiner Geschwindigkeit wollte die Dichtmilch das Loch nicht schließen und so entschied ich, einen neuen Schlauch einzuziehen. Ich öffnete meine Evoc Tasche und stellte mit Entsetzen fest, dass ich beim Packen beide Ersatzschläuche mit meinem Multitool verletzt hatte. Nun stand ich also im Nirgendwo und fragte mich, wie ich die noch verbliebenen 300km bis zum Ziel schaffen sollte.

Wandern, meine neue Leidenschaft

Zunächst versuchte ich mein Glück bei einem Bauern, doch der meinte, dass er mich erst in 1,5h in die nächste Stadt fahren könne. Ich wanderte also weiter und wurde vom Dritten überholt, der mir großzügig einen seiner beiden 29" Ersatzschläuche gab. Das war zwar die falsche Größe für meine 28" Laufräder, aber immerhin konnte ich weiterfahren. Leider machte es 20km später wieder "pfff" und mir blieb keine andere Wahl, als 18km in das nächste kleine Bergdorf Prejano zu wandern. Dort traf ich auf Emiliano und Helena, die beide nur spanisch sprachen, aber mein Problem erkannten. Sie nahmen mich mit zu sich nach Hause und Emiliano packte sein Flickenset aus und machte sich an die Arbeit, während Helena mich mit frischem Obst versorgte. Es war für Emiliano klar, dass er den Platten flicken wollte und ich nicht helfen durfte – auch nicht, als beim 3. Versuch, den Schlauch wieder in den Mantel zu legen, erneut ein Loch entstand. Beim vierten Versuch schlief ich kurz ein.  Als ich aufwachte, standen ein abgespritztes Fahrrad mit Luft im Hinterrad und ein stolzer Emiliano vor mir. Sie luden mich noch ein, zum Essen zu bleiben, doch ich zog es vor, mich in Richtung Vitoria-Gasteiz aufzumachen, da die Fahrt und die Zeit, in der ich wachzubleiben hatte, schon deutlich verlängert war. Mit einem 29" Schlauch, inklusive 4 Flicken und dem Flickenset von Emiliano, machte ich mich also wieder auf den Weg.

Baskischer Backofen

Ich fuhr durch eine von rotem Gestein geprägte Bergwelt, die beeindruckend schön, aber in der Mittagssonne auch unglaublich heiß war. Ich kurbelte glücklich und heftig schwitzend, bergauf und bergab, an Windrädern vorbei. 20 Prozentrampen waren keine Seltenheit. Die Hitze zog die Energie nur so aus dem Körper und dann verweigerte mir auch noch ein fest eingeplanter Brunnen seinen Dienst. Wie es der Zufall wollte, kam mir 10km später ein Jeep entgegen und der Fahrer rief "Aqua"? Ich trank direkt vor seinen Augen 2 Liter und füllte mir zudem an seinem Kanister meine Vorräte wieder auf.
Der Schlauch hielt weitere 50km, bis ein Durchschlag mich leider erneut zum Flicken zwang.

Die zweite Nacht

Im Anschluss brach die Nacht herein, die Hitze ließ nach und die Watt kamen zurück. Es galt den letzten der 6 Berge zu bezwingen und der hatte es in sich: 1400hm auf Schotter und kilometerlange Abschnitte mit über 15 Prozent, bei denen ein erneutes Anfahren nahezu unmöglich gewesen wäre.
Was ich nun zu spüren bekam, waren die vielen Stunden ohne Schlaf und so begann ich gegen 5 Uhr morgens in Büschen und Bäumen Tiere zu sehen, die sich bewegten und auch Personen fingen an, neben mir aufzutauchen oder auf der Straße zu sitzen. Ich realisierte, dass ich zumindest 15 Minuten schlafen sollte und legte mich einfach auf die Schotterstraße. Ich ließ das Licht am Rad brennen, damit mich niemand überfuhr, deckte mich mit der Notfalldecke zu und fiel direkt in einen Tiefschlaf.
Ich fühlte mich wie ein neuer Mensch, als ich in die letzten 90km startete, ohne zu ahnen, dass mir das Schlimmste noch bevorstand.
70km vor Ende begann mein Reifen wieder Luft zu verlieren und 65km vor dem Ziel klebte ich Flicken Nummer 6 auf meinen zu großen Schlauch. Die Luft wollte nicht richtig halten und so folgte in der Verzweiflung ein Abschnitt, in dem ich immer 800m sprintete, bis ich wieder aufpumpen musste. Ich hatte fast die 45km-Marke erreicht und stellte mich schon auf den ersten Marathon meines Lebens ein, als vor mir ein Rennradler aus einem abgelegenen Haus kam. Ich rief so laut ich konnte: " Stopp, hey Cyclista, stopp!" Er hielt verdutzt inne und tat im Anschluss alles, um einen passenden Schlauch zu finden. Letztlich war die beste Option ein 28" Rennradschlauch, der mir aber 3km später schon wieder platzte - aber immerhin waren schon wieder 3km geschafft!
Ich packte also erneut den 29" Schlauch aus und versah ihn mit meinem letzten verbliebenen Flicken. Nummer 7 musste mich jetzt einfach noch bis zur Ziellinie bringen!
Mit zweimaligem Nachpumpen schaffte ich es bis 10km vor dem Ziel. Ohne zu zögern, ging ich vom Rad- in den Joggmodus über und begann die letzten km zu Fuß zu absolvieren. Den 4. Platz wollte ich unter allen Umständen ins Ziel bringen. 7 Kilometer vor dem Ziel schallte mir ein "Vamos Benjamin, vamos!" entgegen. Es war ein Fahrradfahrer, der das Livetracking verfolgt hatte und im Zielort lebte. Er begleitete mich unter Anfeuerungsrufen bis zur Ziellinie.

Nach 772km Radfahren, 18 km Wandern und 10km Joggen erreichte ich nach 54h das Ziel.
Es war viel mehr als ein Rennen und trotzdem steht unter dem Strich immer noch ein 4. Platz! Ich bin sehr glücklich mit diesem Erlebnis und den dabei gemachten Bekanntschaften.

Nachtrag zu den anderen Teilnehmern

Jeder der 300 Fahrer bereitet sich auf ein solches Event besonders vor. Er studiert die Route nach Versorgungsmöglichkeiten, nach schwierigen Passagen oder sucht mögliche Plätze für die Nächte heraus. Dass es sich bei einem solchen Rennen um nichts Gewöhnliches handelt, machte mir eine Unterhaltung nach dem Rennen mit dem Österreicher Markus deutlich: Markus bereitete sich neben dem harten Training auf dem Rad auch ein halbes Jahr lang auf den wenigen Schlaf bei Basajaun vor. Er gewöhnte seinen Körper neben Arbeit und Familie an einen Poliphasen-Schlaf, d.h. er schlief nie länger als 4h und über den Tag verteilt immer wieder max. 15 Minuten. Es ist spannend, wie sich jeder auf seine Art und Weise bestmöglich vorbereitet.

Jetzt mache ich mich auf, zu einer schönen Bikepackingtour durch die Pyrenäen nach Lissabon.

Adios Ben 

P.s. hier unten findet ihr eine kleine Zusammenfassung, die Ben nach dem Rennen direkt an Micha gesendet hat! Wie ihr lesen konntet war das ganze ein Abenteuer, aber das aus seinem Mund zu hören ist nochmal etwas anderes, hört also rein!!! Auch ein kleines Video vom Marathon Ben findet ihr weiter unten.

 

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