Was tun, wenn man aufgrund von Terminen nur 5 Tage Zeit hat, aber einem Freund in Schweden versprochen hat, ihn besuchen zu kommen? Man nimmt das Rad, packt ein Licht und eine Regenjacke ein und setzt sich früh morgens auf den Sattel, um erst wieder in Schweden abzusteigen – einfach mal vorbeischauen eben.
Erster Stopp Hamburg
Der Plan stand und ich nahm noch bei Dunkelheit auf meinem Arc8 Platz, um die Stadt Stuttgart hinter mir zu lassen, bevor Leben und Verkehr erwachen würden. In strömendem Regen begann ich Fahrt aufzunehmen und hielt mich an der Aussicht fest, dass sich das Wetter spätestens ab Kopenhagen bessern sollte – und das waren ja nur noch knapp 1000km bis dahin 🙂 Alle 100km hielt ich kurz an einer Tankstelle oder einem Bäcker an um mich zu versorgen. Beim ersten Stopp gab es z.B. ein Croissant und eine Brezel. Während ich das Croissant genüsslich beim Weiterfahren verspeiste, hing die Brezel noch am Lenker und der Dauerregen verwandelte sie in kürzester Zeit in einen Schwamm. In diesem Moment freute ich mich schon auf meine erste wirkliche Pause nach knapp 700km mit warmem Kaffee und unaufgeweichten Backwaren. Ich wollte das Ziel Hamburg in unter 24h erreichen. Das bedeutete, dass mein zweites Frühstück in der Hansestadt auf mich wartete. Um dieses Ziel zu erreichen, durfte ich keine zu langen Stopps machen und musste eine Brezel eben auch mal in aufgeweichter Form verspeisen.
Eine herausfordernde Nacht
Es war spannend, Deutschland am Stück von Süden nach Norden zu durchqueren und die Strecke war bis kurz vor Hannover auch recht abwechslungsreich. Mit dem Erreichen der Lüneburger Heide und der anbrechenden Nacht begann die Fahrt jedoch herausfordernder zu werden. Ich fuhr zwar immer noch entspannt mit einer Geschwindigkeit um 30km/h, jedoch sorgten neben der aufkommenden Müdigkeit die wiederkehrenden Schauer und abfallende Temperaturen in der Nacht dafür, dass ich auszukühlen begann. Meine Gelenke und Sehnen sendeten Signale, dass sie sich bei diesen Verhältnissen nicht allzu wohl fühlten und für den Kopf war das monotone Fahren durch unendliche Wälder bei Dunkelheit nicht leicht. Ich sehnte den Anbruch des Tages herbei.
In 24h nach Hamburg
Als ich die ersten Kräne und Lichter des Hafens entdeckte, war nichts mehr von Müdigkeit zu spüren. Die Zeit auf meinem Wahoo signalisierte, dass ich die 780km nach Hamburg unter 24h schaffen würde. Ich war voller Glück, denn ich realisierte damit auch, dass ich mich in einer super Verfassung befinden musste, obwohl ich im Gegensatz zur Berlinfahrt (23h38min) nicht alles geben konnte. Ich musste die Tour wohl dosiert angehen, da in Hamburg erst die Hälfte meiner Strecke nach Schweden geschafft war. Nach 23 Stunden und 8 Minuten setzte ich mich in ein Cafe und gönnte mir meinen ersten richtigen Stopp. Ich nahm mir eine Stunde Zeit um mich aufzuwärmen, zu frühstücken, durchzuschnaufen und das erste erreichte Ziel meiner Tour zu genießen.
Highlight alter Elbtunnel
In meinem Glücksgefühl erlebte ich ein kleines Highlight, das ich jedem Fahrradinteressierten bei einem Besuch in Hamburg nur empfehlen kann. Breit grinsend und in Vorfreude auf die leere Promenade mit Sicht auf die Elbphilharmonie, steuerte ich auf die Elbe zu, ohne mir Gedanken gemacht zu haben, wie ich als Radfahrer eigentlich den Fluss passieren könnte. Die Radwegschilder führten mich direkt auf das Wasser zu, ohne, dass weit und breit eine Brücke zu sehen war. Anstatt auf eine Brücke, fuhr ich am Ufer in einen riesigen Lastenaufzug. Von einem Führer gesteuert schloss sich ein großer alter Holzverschlag und ich fuhr mit acht weiteren Radfahrern hinab in den alten Elbtunnel, der nur für Passanten und Radfahrer wieder hergerichtet worden war. Unten angekommen flitzte ich in einmaliger Atmosphäre die 426m lange und mit Kacheln ausgestaltete Röhre entlang, bis ich am anderen Ende wieder auf einen Lastenaufzug stieß, der mich wenig später direkt an der Hafenpromenade ausspuckte. Das Fahren in dieser herrlich präparierten Elbröhre war ein besonderes, unvergessliches Erlebnis.
Von der Sonne getragen
Die Morgenstimmung in Hamburg war unvergleichlich. Die Stadt erwachte langsam, erste Pendler waren mit dem Rad unterwegs und die Promenade gehörte bei Sonnenaufgang mir alleine. Ihr habt euch nicht verhört: Bei Sonnenaufgang - ich musste also nicht bis Dänemark warten, bis sich die Sonne blicken ließ. Mit Sonne in den Speichen und dem Ziel "Fähre" in Puttgarden auf Fehmarn setze ich meine Tour fort.
Die 160km waren bei angenehm wärmenden Temperaturen schnell verflogen und die Fährfahrt bot mir die erste Möglichkeit für 20min die Augen zu schließen.
Dänemark empfing mich ebenfalls mit Sonnenschein, jedoch auch mit ordentlichem Wind. Während ich durch Deutschland immer wieder frustriert Radwege ausprobierte, die nach einem Kilometer wieder endeten oder die Straßenseite wechselten, war ich begeistert von dem Radwegnetzwerk in Dänemark. Perfekter Zustand und absolut verlässlich!
Die zweite Nacht brach herein und ich näherte mich dem Einzugsgebiet Kopenhagen mit vielen Ampeln, die neben dem Wind leider meine Durchschnittsgeschwindigkeit auf unter 28km/h sinken ließen. Ich realisierte auch, dass es hier oben richtig kalt werden würde und versuchte an Tankstellen noch eine Rettungsdecke zu besorgen - doch leider vergebens.
Kühler Empfang
Schweden erreichte ich, wie zuvor Dänemark, per Schiff. Ich nahm eine 15- minütige Fähre nach Helsingborg, die erneut Gelegenheit für ein kurzes Schläfchen bot. Der Schlafmangel konnte aber durch diesen Powernap nicht aufgefangen werden, was ich an einem Sekundenschlaf auf dem Rad realisierte und daraufhin entschied, mir einen Platz zum Schlafen zu suchen. Letztlich lag ich in Ängelholm auf einer überdachten und seitlich verglasten und somit windgeschützten Fußgängerbrücke auf dem Betonboden. Etwas Komfortableres war nicht zu finden. In kurzer Hose und einer leichten Regenjacke erwachte ich bei 6 Grad zitternd nach 3h und musste mich selbst davon überzeugen, dass ich jetzt einfach weiterfahren musste, um meinen Körper wieder auf Temperatur zu bekommen. Nach ein paar harten Minuten trat aber der erhoffte Effekt ein und das Zittern hatte ein Ende. Ich fuhr dem Sonnenaufgang entgegen und alles schien perfekt.
Hardys an meiner Seite
Leider wollte plötzlich meine Schaltung nicht mehr so, wie ich es wollte. Ich hatte nur noch den größten Gang zur Verfügung und quälte mich damit die Anstiege hoch. Es waren nur noch 180km zu diesem Zeitpunkt und so „kurz“ vor dem Ziel war an ein Aufgeben nicht zu denken. Letztlich konnte ich Dank perfekter Telefontipps von Hardys mit der Batterie aus meinem Pulsmesser meine Schaltung zum Laufen bekommen und radelte selig dem schnuckligen Grönahög entgegen.
Herzlicher Empfang
Nach insgesamt 1250km und immerhin noch mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 27,9km/h radelte ich in das kleine Örtchen und wurde gleich am ersten Haus fröhlich empfangen: „Du bist wahrscheinlich der Freund von Markus! Du musst noch 800m weiterfahren und dann ist es links.“ Das Dorf wusste offensichtlich Bescheid, dass sich da ein kleiner Spinner auf die Radreise gemacht hatte und man nahm mich unglaublich herzlich auf. Schöner hätte ich nicht ankommen können und die 1,5 Tage dort werden mir in bester Erinnerung bleiben.
Es lohnt sich, einfach mal nach Schweden zu fahren!
Gruß Ben