die Tage werden länger, die Sonne lacht uns immer öfter ins Gesicht und das unverkennbare Markenzeichen der Radfahrer erwacht aus dem Winterschlaf: Die Bräunungskante. Der Abdruck am Oberarm erfährt unter den männlichen Radsportlern eine nicht zu unterschätzende Aufmerksamkeit in punkto Exaktheit und Bräune. Tja, wer bislang dachte, dass das Rasieren der Beine die einzige eitle Macke der Radfahrer sei - die Wahrheit ist noch viel schlimmer 😉.
Ich bin mir sicher, ihr genießt es genauso wie ich, wieder in kurzem Trikot an saftig grünen Wiesen und blühenden Obstbäume vorbeizuradeln. Der Moment unter der warmen Dusche, wenn die Zehen und Finger wieder auftauen, gehört der Vergangenheit an und wird gegen ein schönes Cafe oder eine Eisdiele am Ende einer Ausfahrt eingetauscht.
Diese Frühlingsstimmung löste in mir die Lust aus, mein Open U.P. reisefertig zu machen und meine Überlegungen und das zusammengestellte Material hinsichtlich meiner Ultra-Events einem ersten Test zu unterziehen. Deshalb nehme ich euch heute auf zwei Etappen über die Schweizer Alpen bis in die Region Emilia-Romagna mit und in die Herausforderungen und Erlebnisse einer 464 km langen Fahrt durch die Nacht.
Nach Wochen des Grübelns über geschickte Lösungen für Packtaschen und das Lichtsystem war die Vorfreude groß, das Ergebnis in der Praxis zu erproben. Würden die Taschen festsitzen und wie erwünscht keine Eigendynamik entwickeln? Würde das Lupine-System sowie das Laden des Wahoo Fahrradcomputers in der Nacht funktionieren und die Navigation reibungslos verlaufen? Wie würde sich das zusätzliche Gewicht auf das Fahrverhalten meines Open auswirken und --- wie fühlt es sich eigentlich an, eine ganze Nacht durchzufahren?
Voller Vorfreude und mit Wetterglück fuhr ich vormittags von Ravensburg aus los in Richtung Bodensee. Ich genoss es in vollen Zügen durch die liebliche Hügellandschaft zu rollen, den Bodensee vor Augen zu haben und mich den noch schneebedeckten Gipfeln der Alpen zu nähern. Mit der Lutzisteig stand vor Chur der erste kurze, aber dafür knackige Anstieg an, bevor es die lange Passstraße zur Lenzerheide zu erklimmen galt.
Während auf den Autodächern noch Skier transportiert wurden, betrachtete ich voller Glück meinen mich begleitenden Schatten in der Mittagssonne, der mir mein Fahrgefühl bestätigte: Die Taschen saßen absolut fest, es wackelte nichts und außer ein paar Gramm mehr am Rad fühlte sich mein Open nach wie vor super agil an. Nach der Abfahrt hinab nach Tiefencastel wurden an einem Brunnen die Trinkreserven wieder mit frischem Bergwasser aufgefüllt und der Julierpass in Angriff genommen. Der Albulapass mit seiner Modelleisenbahn ähnlichen Landschaft wäre die schönere Route gewesen, jedoch bestand dort noch die Wintersperre (er ist eine absolute Empfehlung an alle Fahrradliebhaber und gehört definitiv auf die To-do-Liste). Die letzten fünf Kilometer des Julierpasses werde ich so schnell nicht vergessen: Schneebedeckt und in der Sonne funkelnd begleitete mich das Alpenpanorama, während sich nur das schwarze Band der Straße hinauf zum Pass von der Landschaft abhob. Eine Winterlandschaft wie im Traum und das bei Temperaturen, die mir den Schweiß ins Gesicht trieben und ein kurzes Trikot erlaubten. Liebe Alpen, ihr seid herrlich!
Inzwischen spürte ich die 3600 Höhenmeter in meinen Beinen und war froh um die deutliche Unterstützung meines Open U.P., das die Rückkehr in sein Ursprungsland zu verspüren schien und mir nach wie vor das Gefühl eines unmittelbaren Vortriebs vermittelte. Ich fuhr auf dieser Tour das Gravelrad mit Straßenbereifung und muss sagen, dass es mit ihr unwahrscheinlich gut läuft und einem reinen Rennrad nur wenig nachsteht.
Nach einem schönen Besuch in meiner früheren WG in Celerina und gestärkt von feinen Pancakes, nahm ich den zweiten Abschnitt meiner Tour in Angriff: 464 km über den Berninapass, durch die Poebene bis nach Cesentatico an die Adria. Ich war gespannt, wie ich zurechtkommen würde, wenn es galt eine ganze Nacht durchzufahren und dabei komplett auf mich alleine gestellt zu sein und ob sich an meinem Material etwas optimieren ließe. Die Vielzahl an landschaftlich und klimatisch bedingten Stimmungen, die ich während dieser Fahrt wahrnahm, war etwas ganz Besonderes. Ich startete mein Abenteuer in einer Winterlandschaft hinauf auf den Berninapass, der mich nochmals komplett in den Winter zurückversetzte: Die Gondeln liefen, die Pisten waren präpariert und es tummelten sich die Tourengeher und Skifahrer.
Im Anschluss kurvte ich über herrliche Serpentinen hinab nach Tirano und fand mich plötzlich in einem warmen Frühlingsnachmittag wieder, an dem ich nur schwer gegen die Lust, eine Eis- oder Kaffeepause einzulegen, ankam. Im Sonnenuntergang durfte ich später auf einem wunderschön angelegten Radweg am Lago d`Iseo entlang fahren, der von Zypressen flankiert wurde und mir den italienischen Charme ankündigte. Diese italienisch lässige, entspannte und genussvolle Stimmung wiederholte sich ein paar Stunden später beim Durchfahren von Brescia: Die Nacht war schon hereingebrochen und ich rollte auf einer zweispurigen Straße ohne hektischem Verkehr oder italienischem Gehupe von Rollern durch einen lauen Sommerabend - begleitet von Musik aus anliegenden Kneipen und vorbei an fröhlichen und schick gekleideten Menschen, die den lauen Abend genossen.
Nach der Stadt Brescia war es vorbei mit der Bergwelt und ich traf auf die Poebene. An unsere erste Begegnung erinnere ich mich nur zu gut. Ich traf auf die Ebene erstmals 2006, als ich mich mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Rom befand. Nach einem Blick auf das bevorstehende Profil belächelte ich sie übermütig, da ich immerhin zuvor erstmals in meinem Leben die Alpen überquert hatte und startete übermotiviert in den flachen Abschnitt. Diese unendliche Weite, der Wind, sowie auch die Hitze stellten sich damals auf eine andere Art und Weise, aber ähnlich herausfordernd wie die Alpen dar. Es endete 2006 damit, dass ich das Zelt völlig ermattet nach wenigen Stunden an einem Anlagensee aufschlug und mich zunächst geschlagen gab. Die Poebene hatte mich mit unerwarteten Mitteln besiegt. Beim jetzigen Aufeinandertreffen beging ich diesen Fehler kein zweites Mal. Der Weite und der Hitze nahm ich ihre Schärfe, indem ich ihnen nachts begegnete und der Wind war wohl auf Wiedergutmachung aus. Ich hatte also das Vergnügen, bei angenehmen Bedingungen im Licht meiner tollen Lupine Lampe entlang vieler Felder, durch wunderschön beleuchtete historische Städtchen und zuletzt auch auf dem Damm entlang des Flusses zu fahren und die Ruhe und das Glück zu genießen, dass es so gut voranging. Vor Einbruch der Dunkelheit hatte ich noch meine Lebensmittelvorräte in einem kleinen „Alimentari“ aufgefüllt und konnte mich nun wie in einer Art Bar an meiner Oberrohr- und Rahmentasche während des Fahrens bedienen. Nach acht, der von mir ansonsten so geliebten Haferriegel von „Sponsers“, freute ich mich auf ein platzsparend transportiertes, optisch somit nicht mehr allzu ansprechendes, aber dafür geschmacklich unübertroffenes Croissant aus meiner Snackbar und selbst die salzarmen, trockenen italienischen Brötchen mundeten plötzlich herrlich. Der Mitternachtssnack war definitiv ein kulinarischer Höhepunkt.
Die Kilometer flogen dahin und es war nahezu unwirklich, beim Blick auf meinen Wahoo Fahrradcomputer festzustellen, dass dort inzwischen nicht 30, sondern 300 Kilometer standen. Um halb drei hatte das locker Dahinrollen – zunächst – ein Ende: Ich hatte einen platten Reifen! Und nicht nur das: Ich fuhr in tiefsten Nebel hinein, sodass ich nach 2 Stunden völlig durchnässt und ausgekühlt war und zu spät realisierte, dass es dringend an der Zeit war, eine Jacke überzuziehen. Meine Hände waren schon so eingefroren, dass ich es nicht schaffte in die Regenjacke zu schlüpfen, weshalb ich sie wieder in der Tasche verstaute. Dem nicht genug waren meine eisigen Hände auch nicht mehr in der Lage, den zweiten Handschuh wieder über meine rechte Hand zu stülpen. Anstatt mit einer wärmenden Jacke, wurde die Fahrt letztlich mit einem Handschuh weniger fortgesetzt. Nach zwanzig bitteren Minuten tauchte wundersamer Weise eine Tankstelle aus dem Nebel auf und ich bog dankbar ab. Ich muss wohl ein wenig bemitleidenswert gewirkt haben, denn die Dame hinter dem Tresen kam direkt auf mich zu, meinte, ich sollte mich nur setzen und servierte mir einen wärmenden Kaffee und eine kleine Stärkung. Mit Regenjacke, beiden Handschuhen und wiedergefundener Freude ging es auf die letzten 60 Kilometer Richtung Strand. Es begann zu dämmern, die Sonne stieg orangefarben vor mir auf und ich konnte die Meeresluft schon förmlich riechen. Im Sandstrand stehend, drückte ich nach 464 Kilometern auf meinem Fahrradcomputer auf „stopp“, schoss ein Erinnerungsfoto und legte mich mit einem zufriedenen Grinsen auf ein auf dem Trockenen liegendes Schiff in die Morgensonne. Angekommen!
Ich musste mich, was das Lesen der Karte betraf, kurz auf den Wahoo Fahrradcomputer einstellen, da ich zuvor die Navigation von Garmin gewohnt war. Aber nach kurzer Zeit war mir auch die Darstellung von Wahoo vertraut. Ich bin begeistert, wie unkompliziert das Zoomen der Landkarte funktioniert und wie schnell neue Routen geladen werden. Für mich ist der Wahoo wirklich ein Upgrade!
Meine Überlegungen zur Befestigung des Rücklichts stellten sich als nicht ausgereift heraus. Ich konnte das am Taschenende befestigte Licht zwar problemlos beim Fahren bedienen, jedoch verlor ich es bei heftigen Unebenheiten und auch beim Öffnen und Schließen der Seat-Pack-Tasche war es mir im Weg. Die einfachste Lösung stellt nun ein „frog light“ Rücklicht dar, das ich direkt an meinem Helm befestige. Es ist leicht, absolut ausreichend, um gesehen zu werden und geht auch bei Unebenheiten nicht verloren.
Müdigkeit in der Nacht war spannenderweise gar kein Problem. Am Tag hatte ich jedoch immer wieder kleinere Tiefs, die immer dann auftraten, wenn mein Körper gewohnt ist, eine Tasse Kaffee zu erhalten. Die harte Konsequenz wird sein, dass ich meinen geliebten Kaffeekonsum bis zum 3. Juni deutlich reduziere werde.
Nicht funktioniert haben des Weiteren ein Akku und ein Ladekabel. Ich hatte zum Glück Ersatz dabei, aber das sollte im Ernstfall nicht vorkommen und an dieser Stelle wird ausreichend getestet werden. Insgesamt sind meine Überlegungen aber aufgegangen.
Was meine eingepackte Kleidung und deren Alltagtauglichkeit betrifft: Eine lange Unterhose kombiniert mit einem Netzunterhemd mag im Balkan zwar zum Schlafen perfekt sein, als Alltagskleidung in der Schweiz war sie dagegen eher gewöhnungsbedürftig. Für diese Tour hätte ich mal lieber bei der Planung einen Gedanken daran verschwenden sollen.
Eine tolle Erkenntnis hinsichtlich des Balkans: Wenn man erst Tage nach einer solchen Tour feststellt, dass man seinen Hintern gar nicht gespürt hatte, dann ist das definitiv ein Zeichen, dass der von Hardys empfohlene Fizik Sattel hält was er verspricht („Fizik Antares Versus Evo R3 Adaptive“).
Das Gedankenkarussell Richtung TransBalkan hat durch die Tour an die Adria einen ordentlichen Schwung Realität erhalten. Prognosen bezüglich Durchschnittgeschwindigkeiten, Standzeiten und der eventuell zu erwartenden Ankunft in Kotor sind über Bord geworfen, da mir eine Vorhersage inzwischen schlicht unmöglich erscheint. Auf den 210 km von Ravensburg über die Sankt Lutzisteig, die Lenzerheide sowie den Julierpass nach St. Moritz habe ich 3600 hm mit all dem Gepäck bewältigt, das ich auch im Balkan bei mir haben werde. Ich kam mit Gepäck auf einen Schnitt von 21 km/h - wohlgemerkt auf Straßenbelag. Wenn ich mir in Erinnerung rufe, dass im Balkan pro 200 km im Schnitt 4000 hm auf unbefestigten Wegen auf mich warten, fällt eine Prognose zu Dauer und Durchschnittsgeschwindigkeit hinsichtlich der Gesamtlänge von 1300 km schwer - wobei die Prognose der bevorstehenden Qualen deutlich geschärft wurde.
Es bleibt spannend!
Ich hoffe, das Radelfieber hat euch auch schon wieder gepackt.
Bis in einem Monat!
Gruß Ben
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