Fahre ich noch ein Rennen oder gibt es ein spannendes Bikepacking Abenteuer, das mir bislang nicht aufgefallen war? Ich hatte große Lust, dieses spannende Jahr würdig abzuschließen und meine vorhandene Form von Badlands zu nutzen. Letztlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich verwirkliche mir einen Jugendtraum und fahre in einem Tag nach Berlin.
Im Alter von 11 Jahren radelte ich mit meiner gesamten Familie nach Berlin. Die Hauptstadt war als Ziel der Sommerferien auserkoren und wir durchquerten zwei Wochen lang große Teile der Bundesrepublik, um letztlich stolz Berlin zu erreichen. 2003 herrschte in Deutschland eine Hitzewelle, weshalb einige Menschen bezüglich unseres Vorhabens vermutlich den Kopf schüttelten - aber wir machten herrliche Wochen daraus. Nach täglichen 50-90km endete jede Tagesetappe mit einer Abkühlung in einem Freibad. Für die Radsportfans unter uns: Es war ja nicht irgendein Radsommer! Jan Ullrich war so knapp am Toursieg, wie schon seit Jahren nicht mehr. Nachdem er noch im ersten Zeitfahren 1 Minute 30 auf Armstrong herausfahren konnte, stürzte er leider im regnerischen, zweiten Zeitfahren und verlor die Chance auf seinen zweiten Tour-de-France-Triumpf nach 1997. Noch von der Euphorie dieser spannenden 21 Tage in Frankreich mitgerissen, fuhren meine zwei Brüder und ich als große Ullrich Fans standesgemäß im Bianchi Trikot. Es ist ja auch bekannt, dass Jan Ullrich seine besten Leistungen stets bei hochsommerlichen Bedingungen erbrachte.
Viel Zeit für Vorbereitung war nicht und ich vertraute einfach meinen Beinen, dass diese Spritztour noch drin lag. Eine Stunde nach Schulschluss setzte ich mich am Freitagmittag auf mein Open U.P. und radelte los. Die Route wurde tags zuvor noch über Komoot erstellt, meine neue Tasche, der „Tailfin Aeropack“ war schon fertig gepackt und so konnte es bei schönstem Herbstwetter direkt losgehen - schneller kann man seinen Arbeitsalltag kaum hinter sich lassen. Noch bei Tageslicht wurden die ersten hügeligen 230km über Schwäbisch Gmünd bis Erlangen zurückgelegt, bevor die lange Nacht anstand. Im Vergleich zu der ersten Nacht bei Badlands war ich nicht kaffeeentwöhnt, weshalb der Cola-Konsum keine vergleichbare Wirkung hatte und so deutlich größer ausfiel. Des Weiteren war meine Lust, Unangenehmes in Kauf zu nehmen geringer, da ich mich nicht in einem Rennen befand, sondern „nur“ einen Jugendtraum verwirklichte. Genauer gesagt schaffte ich es nicht, mir stündlich mindestens einen der Powerriegel einzuverleiben. Nach 5-7 Stück widerte es mich wahrlich an und ich begann zu hoffen, dass es auch mit weniger Nahrung gehen würde - was natürlich nicht funktionierte. Nachdem Gera mich im Stich ließ und ich morgens um 3 Uhr weder eine offene Tankstelle noch einen Imbiss fand, wurde es zäh. Einen Riegel zwang ich der Vernunft wegen noch hinunter, doch die 11h Dunkelheit, feuchte Kälte bei fünf Grad und der nicht ausreichend gefüllte Magen senkten meine Reisegeschwindigkeit erheblich. In diesem Moment bereute ich es, nicht einfach das Rennrad mit dünneren Reifen genommen zu haben, was mir mein Ziel, Berlin unter 24h zu erreichen, deutlich vereinfacht hätte.
Um 6 Uhr bei Leipzig wurde diesen negativen Gedanken ein Ende gesetzt. Ich fand meine ersehnte Bäckerei. Die Verkäuferin hatte noch nicht einmal eingeräumt, aber sie war bereit mich zu bedienen. Vermutlich ahnte sie, dass in den folgenden fünf Minuten die Geschichte des Tages entstehen würde, mit der sie ihre weiteren Kunden unterhalten konnte. Ich bestellte neben einem Kaffee zwei Stück Kuchen, zwei Milchhörnchen, ein Schokobrötchen, einen halben Hefezopf und ein Brötchen. Nach fünf Minuten verließ ich die Bäckerei und hatte bis auf das Bötchen, das in der Trikottasche verstaut wurde, alles verspeist. Erst beim Hinausgehen bemerkte ich, dass meine Stirnlampe munter leuchtete. Es muss ein herrlicher Auftritt für die freundliche Dame gewesen sein, die „unauffällig“ und ungläubig beobachtet hatte, wie ich kurzerhand eine Familienbestellung verspeiste.
Nach dem Besuch in der Bäckerei ging es mir wieder prächtig und ich setzte meine Fahrt zufrieden fort. Es begann zu dämmern und ich konnte wieder klare Gedanken fassen. Ich hatte in den Minuten vor meinem Bäckerstopp die Hoffnung verloren, die Strecke unter 24h zu schaffen. Aber sofern ich von nun an einen guten 30er Schnitt fahren sollte, war es wieder möglich. Motiviert, meinen Stoppknopf auf meinem Fahrradcomputer bei 23:xx Stunden am Brandenburger Tor zu drücken, waren meine Beine bereit, einige Watt mehr aufs Pedal zu bringen und meine 40mm Gravelreifen auf durchschnittlich über 30Km/h zu beschleunigen. Mein Open war wieder in Schwung und ich rollte über perfekte Radwege durch die Wälder Potsdams. Der Schwung hielt an, bis ich an den Stadtrand von Berlin kam. Ab hier wurden meine Nerven ziemlich herausgefordert, da die vielen Ampeln Zeit kosteten. Letztlich sollte es aber reichen und ich stand bei 23:36h am Wahrzeichen Berlins.
Empfangen von Familie und Freunden war es ein wunderbares Ankommen in der Hauptstadt und der lang gehegte Traum, in einem Tag nach Berlin zu radeln, war in Erfüllung gegangen.
Es war eine spontane Unternehmung, die aber mein Gedankenkarussell für die Zukunft ordentlich in Schwung gebracht hat: Wenn mit einem Gravelrad an einem Tag 638Km möglich sind, dann…
Lasst euch überraschen!
Gruß Ben
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