4.30 Uhr - der Wecker klingelte und die kurze Nacht war vorüber. Das fertig gepackte Fahrrad stand bereits fahrbereit neben dem Bett und ich schwang mich in die Rennkleidung. Innerhalb kürzester Zeit wurden meinem Körper nochmals Unmengen an Porridge zugeführt, um dann die Beleuchtung am Gravelrad einzuschalten und durch die geisterhaft anmutende Stadt in Richtung Start zu rollen.
Am Start erhielt ich schon einen ersten Vorgeschmack auf die kommende Nacht: Ich trug über meinem kurzen Trikot nur eine Weste und realisierte in diesem Moment, dass mir mein Puffer in Form einer leichten Windjacke keine wohlige Nacht bescheren würde. Ich musste trotz Gänsehaut und leichtem Zittern grinsen, da das mal wieder eine typische Ben-Aktion war: Entweder - oder! Und ja nichts zu viel einpacken! Jetzt musste ich eben das Beste draus machen.
Der Start erfolgte und wir fuhren geschlossen aus der Stadt hinaus. Der erste Anstieg in Richtung Costa Brava wurde uns durch den Sonnenaufgang versüßt, der den Himmel in rötlicher Wärme erstrahlen ließ. Das Teilnehmerfeld fiel schnell auseinander und es zeichnete sich ab, dass das Rennen zwischen Ullrich Bartholomös und mir entschieden werden würde. Ob am Meer entlang auf Radwegen, guten Schotterstraßen über dem Meer oder Trailpassagen hinauf und wieder hinab zum Meer, die ersten 200km waren landschaftlich unfassbar schön und beeindruckend und ich war absolut im Glück, durch welchen schönen Teil Kataloniens ich mein Rad steuern durfte.
Ullrich Barholomös und ich fuhren die ersten 150 km nebeneinander und hatten es richtig nett. Er lebt in Girona und kennt sich aus, weshalb er mir u.a. Informationen über das Örtchen Cadaques und seine Künstler gab, während wir uns einen Weg durch die Touristen bahnten.
Dann war es aber aus mit der gemeinsamen Zeit. Auf einem Trail bergab, bei dem große Absätze überwunden werden mussten, fuhr er dann aber mit seinem Mountainbike einen Vorsprung heraus. Es begann ein neues Rennen.
Von nun an ging es nur noch hoch und runter. In besonderer Erinnerung ist mir zum einen der Bassegodapass aufgrund seiner Steilheit. Gelegen in einem wunderschönen Kletter- und Wandergebiet quälte er mich mit dauerhaften zweistelligen Steigungsprozenten, zunächst 10 km auf Teer und dann auf den letzten 5 km auf richtig grobem Gestein. Wenn die Geschwindigkeit 7 km/h anzeigt und der Wattmesser zwischen 350 und 400 pendelt, dann ist das nicht nur körperlich anstrengend, sondern auch mental eine Herausforderung.
Zum anderen war der Pedraforcapass ein wahres Erlebnis. Ich passierte die Passhöhe des 1900m hohen Riesen gegen Mitternacht. Auf einer Schotterstraße, die sich wunderschön nach oben schlängelte, war die beeindruckende Umgebung dank des Vollmonds sogar mitten in der Nacht zu erkennen. Silhouetten von Bergketten umgaben mich, die geringe Bewaldung ermöglichte einen traumhaften Ausblick und der Mond spiegelte sich in letzten Schneeresten und gefrorenen Eisflächen.
Was man sich bei dieser Beschreibung vorstellen kann ist, dass keine hochsommerlichen Temperaturen herrschten. Bei 0 Grad in Trikot, Weste und Windjacke zu fahren, war eine sportliche Angelegenheit und es galt immer in Schwung zu bleiben. Um meine Füße zu schützen, wandelte ich spontan zwei Plastiktüten zu Überschuhen um. Die Optik ließ zu wünschen übrig, da eine der beiden eine Zweilitertüte war, die einen Trichter um mein Schienbein bildete - aber sie wärmte! Es galt immer in Schwung zu bleiben und den Körper auf Temperatur zu halten. Was passierte, wenn ich das nicht tat, erfuhr ich beim ersten meiner insgesamt vier kurzen Stopps. Am ersten Abend hielt ich an einer Tankstelle und mich überfiel nach kürzester Zeit eine unfassbare Kälte, so dass ich heftig zu zittern begann. Ich trug meinen Einkauf zurück in die Tankstelle um dort frierend meine Einkäufe zu verspeisen und der fassungslose Blick eines Jungen, der mit seinen Eltern hereinkam, sprach Bände. Bislang fuhr ich meine Rennen meist bei Hitze, z.B. bei 46 Grad in Bosnien oder in der Gorafe Wüste. Beim CatalunyiaTrail galt es nun mit den gegenteiligen Temperaturen umzugehen.
Was kann noch kommen, wenn man seit über 30h im Sattel sitzt, eine eiskalte Nacht hinter sich hat, gute 550km bereits auf dem Tacho stehen und unzählige Pässe überwunden sind? Es wartete eine Herausforderung auf mich, die ich so bislang nicht kannte: Das Rennen war entschieden. Mir war klar, dass ich die 16km an Rückstand nicht zufahren würde, da Ullrich und ich uns in diesem Rennen zu ebenbürtig waren und trotzdem standen mir noch ca. 150km und tausende Höhenmeter auf Schotter und Trails bevor. In so einem Moment kommt kurz alles zusammen: Es wurde heiß, der Untergrund war grobsteinig, die Straße absolut ungleichmäßig in ihrer Steigung und meine Riegel wollten mir auch nicht mehr schmecken. Es galt eine Stunde mentalen Kampfs auszufechten, bis ich meine Gedanken geordnet und neue Motivation gewonnen hatte, um Girona mit Druck auf dem Pedal zu erreichen.
Viele Jahre verband ich Crêpes hauptsächlich mit dem Chalet Reynard auf dem Mont Ventoux. Nach erfolgreicher Bergfahrt galt es auf der Abfahrt einen Stopp einzulegen und zu einem Cafe au lait den wohlverdienten Crêpe mit Nutella zu genießen. Kein Halten gab es auch bei dem unwiderstehlichen Angebot auf dem Col du Peyresourde vor Jahren auf der Tour nach Barcelona: „10 Crêpes für 4 Euro!“. Und nun der Traum beim Catalunyiatrail auf 1300m: Nach einer langen und kalten Nacht stieß ich bei Sonnenaufgang auf einen Imbisswagen, der gerade öffnete. Warmen Milchkaffee, sowie frisch zubereiteten Crêpe mit Käse zu bekommen war etwas Wunderbares nach all dem Süßen der vergangenen Nacht. Der einzige Fehler: Nach 20 min fragte ich mich, warum ich eigentlich nicht gleich 3 Crêpes bestellt hatte.
Auf einmal schmolzen die Kilometer und gegen 22 Uhr erreichte ich das Ziel in Girona! 40h auf meinem Arc8 lagen hinter mir und ich wurde von einem enthusiastischen Organisator Jaume Amat und seiner Frau herzlich empfangen. Bestens mit Getränken und Snacks versorgt, wurde beim Gespräch deutlich, mit wieviel Leidenschaft er sich seinem Event widmet und wie viele Gedanken in der Routenplanung stecken. Dieser Aufwand war beim Fahren definitiv bemerkbar und ich bin glücklich an diesem schönen und gut durchdachten Rennen teilgenommen zu haben.
Was mein Material betrifft, so war ich mal wieder bestens bedient. Meine 45mm Schwalbe G- One R Reifen waren phänomenal und ließen mich auch die schwierigsten und definitiv einem Mountainbike entsprechenden Abschnitte sicher bewältigen. Meine DT Swiss Laufräder schoben mich auf den flachen Passagen entlang der Costa Brava an und meine Schaltung lief wie ein Uhrwerk. Es ist einfach genial das Hardys Team an meiner Seite zu haben, das mir mit so viel Fachwissen ein Custom-Bike perfekt für meine Bedürfnisse zusammenstellt.
Im kommenden Blog werde ich das Konzept von „dead ends and cake“, einem Ultra-Rennen in der Schweiz vorstellen, auf das ich mich sehr freue. Dort gibt es keine vorgegebene Route, sondern jeder Teilnehmer entwirft seine eigene Strecke, auf der er fünf vorgegebene Checkpoints erreicht und dort mit Kuchen belohnt wird.
Die Ultra-Szene ist nicht nur menschlich, landschaftlich und sportlich superspannend, sondern auch in ihren unterschiedlichen Konzepten.
Warum nicht mal hinter leckeren Schweizer Kuchen herjagen…
Bis bald!
Gruß Ben